Wir kennen sie alle, diese nervigen Menschen um uns herum, die angefangen haben, sich mit einem Thema zu beschäftigen und dann: Ab dafür! Von nun an heißt es: „Ich habe Recht und Du nicht!“
Ein beliebtes Thema ist natürlich Ernährung. Vom Nacken-Griller, sommers wie winters, möglichst mit lustig-ironischer Nacktgrillschürze und natürlich komplettem Weber-Equipment inklusive Hickory-Zedernholz-Räucherchips für ideale Smoke-Ergebnisse des zuvor in Theryaki-Bier-Marinade eingelegten Medium-Rare-Steaks, zum Thermomix-Junkie, dessen Vorratsschränke voll mit Tupperboxen und handlettering ettikettierten Einweckgläsern sind, in denen sich wahlweise Schlemmerideen für den köstlichen Alltag, Hüttenzauber zur Schmankerl-Zeit oder Piratengold mit Extra-Finessefaktor stapeln und auf dank Thermomix gechillte Genusswillige warten, bis hin zum umfassend Bescheid wissenden Smoothieschlürfer mit minimalem, logischerweise veganen, Fußabdruck, der noch nicht restlos sicher ist, ob Ayurveda oder Paläo-LowCarb seine Endlösung auf sämtliche Ernährungsfragen ist und der die herabschauende-Hund-Haltung vom Yoga auch in seiner Gesprächsführung etabliert hat, nun aber ganz ohne Hund.
Sie alle haben eins gemeinsam: Sie finden, sie haben auf jeden Fall Recht! Das gilt für Wutbürger genauso wie für Busrentner, für Homopärchen wie für Mütter mit XXL-Doppelkinderwagen, für Ökogärtner wie für Jakobsweg-Pilgerer.
Medizin, Nachhaltigkeit, Politik, Urlaub, Lebensführung, Partnerschaft – die Liste der Möglichkeiten Recht zu haben und dafür auch jede Menge Mitstreiter und Beweise zu haben, ist schier endlos. Und ja, auch im Coaching ist die Auffassung verbreitet, dass Coaching irgendwie moderner, besser ist und Coaching quasi die Weltformel für individuelle Quantensprünge parat hat. Bei anderen wieder gilt gerade Coaching als unseriös. Besonders Psychologen, Sozialpädagogen und Therapeuten sehen hier geradezu eine zwar unqualifizierte, aber doch ärgerliche Bedrohung ihrer viel ernshafteren Berufsgruppe und erheben selbstredend Anspruch auf die Deutungshoheit der Realität.
Recht haben ist schön, Recht haben ist herrlich! Es macht sicher, groß, kompetent und wichtig. Wer es ganz genau, sogar besser weiß, vielleicht sogar am besten, der hat für sich ein stimmiges Lebensgefühl, alles passt, das eigene System funktioniert – es macht nur für andere nicht unbedingt Spaß, mit diesem Mitmenschen zusammen zu sein, es sei denn, man denkt genau das Gleiche. Viele Beziehungen basieren auf dieser Schnittmenge der Übereinstimmung, wenn nicht sogar die meisten. Schwierig wird es nur, wenn die Beteiligten in irgendeiner relevanten Sache etwas anderes für besser halten. Recht haben wollen wirkt dann auf einmal sehr trennend und führt zu tiefen Krisen, Streit und Trennung.
Es gibt einen Weg aus diesem Dilemma und der tut gar nicht weh: Die Kategorien ‚richtig‘ und ‚falsch‘ könnten hinterfragt werden und wenn jeder nur einmal die Perspektive des Gegenübers einnimmt, wird schnell deutlich, dass alles davon abhängt, welche Absicht jemand hat. Die Absicht unseres wackeren Grillmeisters ist sicher eine ganz andere als die eines Rohköstlers und geht vielleicht in die Richtung von Geselligkeit, Fleischgenuss, Outdoorabenteuer. Und ist grillen gesellig? Ein Genuss für Fleischliebhaber? Ein Outdoorerlebnis? Aber ja, und wie! Das Essen von geraspeltem Rohgemüse erfüllt diese Absichten in der Regel nicht so sehr, dafür aber andere, in der Bewertungsskala des Besser-Essers wohl eher höhere. Und ist nun eine Absicht besser als die andere? Höherwertiger, wichtiger, edler? Die Antwort hängt von der Absicht ab…Recht haben wollen oder mit anderen glücklich sein…